Der landwirtschaftliche Betrieb der Gemeinschaft Tempelhof möchte sich zu einem Modellbetrieb für eine zukunftsfähige Landwirtschaft entwickeln. Dazu gehört auch der Erhalt und die Förderung der Biodiversität. Im Rahmen des initiierten Forschungsprojektes „Aufbauende Landwirtschaft am Tempelhof“ wurde 2018 Untersuchungen zur Biodiversität auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen durchgeführt. Dazu gehören unser Grünland, das Ackerland und der Bio-Intensiv-Gemüsebau (Market Garden).
Mit dem Ziel den aktuellen Zustand der Artenvielfalt zu ermitteln, wurden bestimmte Artengruppen der Farn- und Blütenpflanzen, der Vögel, der Tagfalter und Nachtfalter sowie der Heuschrecken untersucht. Hieraus sollten genaue Maßnahmen erarbeitet werden, um die Artenvielfalt zu erhöhen und geschützte Arten zu erhalten. Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Erhöhung der Artenvielfalt wird nach einigen Jahren durch eine erneute Biodiversitätserhebung überprüft.
Die Untersuchungen ergaben, dass es starke Unterschiede in der Arten-Anzahl hinsichtlich der Artengruppen und der Landnutzung gab. Einerseits wurden viele Flächen im Hinblick auf europäische Indikatoren, sowohl in der Flora als auch in der Fauna, eher durchschnittlich und zum Teil als artenarm, für diesen Landschaftsausschnitt, eingestuft. Allerdings schien eine der verwendeten Methoden nicht ganz geeignet für die bei uns vorkommenden Keuperböden. Andererseits wurden, überraschenderweise, bei einigen Flächen eine relativ hohe Anzahl an Arten beobachtet, und sogar auf allen Nutzflächen, im Grünland, im Ackerland und Market-Garden, einige besondere und gefährdete Arten entdeckt.
Das Ergebnis ist durchaus positiv als aktuelle Ausgangslage zu sehen und lässt uns zuversichtlich in die Zukunft blicken. Denn im Erhebungsjahr 2018 sind viele Pflanzenarten aufgrund der anhaltenden Trockenheit, z.B. in den Blühstreifen, teils sehr schlecht aufgegangen. Zudem waren viele Landschaftselemente wie Hecken und Baumstreifen noch jung und waren erst gepflanzt worden, sodass viel Potenzial ist, dass diese bald besiedelt werden. Reichlich weitere Maßnahmen (z.B. Teichbiotope) sind geplant um einer größeren Vielfalt den Einzug zu ermöglichen und damit einen Beitrag für uns und dem Umweltschutz zu leisten.
Flora
Das Grünland des Untersuchungsgebietes zählt überwiegend zu den wechselfeuchten bis feuchten Ausprägungen der Glatthaferwiesen. Der Durchschnittswert liegt mit 20 Pflanzenarten in den zentralen Flächen deutlich unter denen der Randbereichen (27 Arten). Die einzige Rote-Liste-Art, die im Grünland entdeckt wurde war die Trollblume (Trollius europaeus). Die Art ist landesweit gefährdet (RL-Status: 3).
Die Grünlandflächen erfüllen leider nicht die Anforderungen der Fauna-Flora-Habitat (FFH)Richtlinie der Europäischen Union (EU), die schützenswerte seltenen oder bedrohten Arten und Lebensräumen auflistet, hinsichtlich dem Lebensraumtyp Magere Flachland-Mähwiesen. Obwohl einige Probeflächen die Mindestanzahl von 20 Arten erreichen, weisen diese zu geringen Mengen an Magerkeitszeiger auf. Nur eine Probefläche im Grünland im Südwesten erfüllt alle Kriterien für den FFH-Lebensraumtyp Magere Flachland-Mähwiesen.
Im Ackerbau liegen die Artenzahlen zwischen 11-36 Arten je nach Nutzung. Da die Beikraut-Unterdrückung im Gemüsebau (Kartoffeln, Möhren) und teils im Getreide-Anbau (Weizen) sehr effektiv war, war dort die botanische Artenvielfalt relativ gering. Im Gegensatz waren relativ hohe Artenzahlen in den Gründüngung-Randbereichen und in den angelegten Blühstreifen zu finden. Es konnten zwei Arten der Roten Liste von Baden-Württemberg entdeckt werden: die landesweit gefährdete Saat-Leindotter (Camelina sativa) und die, auf der Vorwarnliste zur Roten Liste, Breitblättrige Wolfsmilch (Euphorbia platyphyllos).
Die verschiedenen Gemüsebau-Flächen im Market Garden unterscheiden sich sehr stark
hinsichtlich ihrer Artenvielfalt. Auf den eigentlichen Anbauflächen wachsen insgesamt 72 Arten. Wo viele verschiedene Nutzpflanzen-Arten nebeneinander in schmalen Streifen angebaut werden ist die floristische Vielfalt relativ hoch. Dort wachsen neben der hohen Zahl an Nutzpflanzen, trotz intensiver mechanischer Unkrautbekämpfung, auch bis zu 30 Wild-Arten. Dagegen ist auf Flächen wo nur eine Gemüse-Sorte angebaut wird, und diese zudem durch eine dicke Mulchschicht vor Austrocknung und Beikräutern geschützt ist, die floristische Vielfalt relativ gering. Im Gegensatz zu den anderen Nutzflächen konnten im Market Garden keine Arten der Roten Liste von Baden-Württemberg registriert werden.
Wird das Untersuchungsgebiet auf seinen Naturwert mit dem „High Nature Value“-HNV Methode der EU untersucht, werden ein Viertel als HNV-Flächen eingestuft und liegen somit deutlich über dem Landesdurchschnitt von 14,7 %. Der Anteil der einzelnen Wertstufen
ist am Tempelhof im Vergleich zum Landesdurchschnitt deutlich zu den schlechteren Wertstufen verschoben, weil Landschaftselemente wie Hecken und Bäche einen geringeren Anteil annehmen als im Landesdurchschnitt.
Fauna
Insgesamt wurde ein durchschnittlicher Wert, für so ein Landschaftsausschnitt, mit 32 Vogelarten als Brutvögel im Gebiet und näheren Umfeld festgestellt. Im Bereich des Intensiv-Gemüsebaus und der angrenzenden Pappel-Reihe befindet sich die höchste Dichte an Revieren. Es brüten die folgenden Rote-Liste-Arten: Feldlerche als landesweit gefährdete Art (Rote-Liste-Status: 3) sowie die folgenden Arten der Vorwarnliste (Rote-Liste-Status: V): Feldsperling, Goldammer, Stockente und Wiesenschafstelze. Im nahen Umfeld sind weitere Arten der Roten Liste als Brutvögel vorhanden: Fitis (gefährdet), Grauspecht (stark gefährdet), Haussperling (Vorwarnliste) sowie Wachtel (Vorwarnliste).
Das Ackerland war zum Teil ein Neuntöter-Revier. Sehr häufig nutzten Feld- und Haussperlinge sowie Hausrotschwanze und Stare die Ackerflächen zur Nahrungssuche. Auch Goldammern, Stieglitze und Bachstelzen konnten beobachtet werden. Auf dem Zug waren die Flächen u.a. für Steinschmätzer, Braunkehlchen und Wachtel attraktiv. Im Untersuchungsgebiet könnten es mehr sein, wenn die Landschaftselemente
(Gehölze, Blühstreifen im Ackerland, zur Brutzeit ungemähte Streifen im Grünland bzw. auf Gründüngungsflache usw.) einen größeren Anteil einnehmen. Zudem sind die bereits vorhandenen Elemente oft noch zu jung, um besiedelt zu werden.
Insgesamt wurde eine relativ hohe Anzahl (36) an Tagfalter-Arten und ein Widderchen-Art im Untersuchungsgebiet nachgewiesen. Darunter sind drei landesweit gefährdete Arten sowie 10 Arten der Vorwarnliste zur Roten Liste. Zu den gefährdeten Arten zählen der Baldrian-Scheckenfalter (Melitaea diamina), der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) sowie der Malven-Dickkopffalter (Carcharodus alceae).
Die landwirtschaftlichen Nutzflächen des Gebietes haben demnach Bedeutung für den Schutz gefährdeter Falterarten. Zum Beispiel stellen die leguminosenreiche Gründüngungsflächen wichtige Nahrungs- und Rückzugshabitate für Tagfalter dar, insbesondere wenn im Umfeld sonstige Habitate gemäht oder abgeerntet wurden.
Die Anzahl der der Heuschrecken-Arten (11) im Gebiet relativ gering, mit nur einer Art der Vorwarnliste zur Roten Liste, dem Wiesengrashüpfer (Chorthippus dorsatus). Der Intensiv-Gemüsebau ist deutlich weniger für Heuschrecken geeignet als das Grünland.
Dies liegt nicht allein an der häufigen und regelmäßigen Aufwuchs-Veränderung in den Gemüse-Beeten, sondern auch durch die häufige Mahd der Randbereiche. Dennoch scheint der Intensiv-Gemüsebau für eine Art – den Nachtigall-Grashüpfer – bessere Habitat-Eigenschaften zu bieten als das Grünland.
Zusätzlich wurden auch andere bemerkenswerte Arten im Rahmen der Untersuchungen entdeckt. Sowohl der Brühlbach- als auch der Rotbach-Abschnitt nördlich von Tempelhof sind Teile von Biber-Revieren. Auch bemerkenswerte Vogelarten als Durchzügler wurden gesehen wie Bekassine, Waldwasserläufer und Braunkelchen. Auch bei den Amphibien und Reptilien gab es was zu entdecken, eine kleine Population des Teichfrosches (Rana esculenta), Erdkröten-Kaulquappen (Bufo bufo), eine Ringelnatter (Natrix natrix) und sogar einen Steinkrebs (Austropotamobius torrentium) – landesweit stark gefährdet.
Wir sind überrascht, dass doch so eine Vielfalt im Untersuchungsgebiet von 24 ha vorzufinden ist und freuen uns, bald weitere Arten willkommen zu heißen!
Helene Urbain
Aufbauende Landwirtschaft
am Schloss Tempelhof