Es gibt Kommentatoren des Weltgeschehens, die sahen uns schon vor dem Einstieg der USA in den Krieg gegen den Iran auf dem „besten“ Weg in einen Dritten Weltkrieg. Ich vermag das nicht zu beurteilen und neige an und für sich nicht zu Angstszenarien. Seit der weiteren Eskalation des Konfliktes im Nahen Osten halte ich allmählich, angesichts der weltpolitischen Akteure auch, das Undenkbare für möglich. Was ist aus „Nie wieder Krieg“ geworden? Keine überwältigende Friedensbewegung weit und breit. Keine charismatischen Führungspersönlichkeiten in Sicht, die auf politischer Ebene einen Shift bewirken könnten. Richten wir uns also mit dem Unausweichlichen ein, je nach Naturell entweder sorgenvoll oder und das Leben genießend, so lange es noch geht? Oder halten wir es für möglich, dass unsere bisherigen bürgerschaftlichen „Friedenswerkzeuge“ – Demos, Menschenketten, Appelle, Erinnerungskultur – einfach unzureichend waren? Dass es einen nachhaltigeren Weg gibt, den wir gehen könnten?
Ja, ich halte es für möglich.
Mir ist auf dieser Welt ein Volk bekannt, das die Sache mit dem Frieden hinbekommt. Das sind die Kogi, ein indigenes Volk aus den Bergen der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien. Wir sind seit vier Jahren mit ihnen im Kontakt und haben das große Glück, dass sie auf ihren Europareisen bisher immer eines ihrer Seminare bei uns gemacht haben, jeweils mit weit über 100 Teilnehmerinnen von überall her. Darüber haben wir im Newsletter schon öfter berichtet.

Ihre friedvolle, stille, sehr natürliche Präsenz ist an unserem Platz spürbar, wenn sie da sind. Im diesjährigen Seminar Ende Mai waren sieben von uns Tempelhöfer*innen dabei. Es ging um Beziehungen. Die Kogi sehen die Ordnung unserer Beziehungen – besonders der intimen Partnerschaften – als zentral für das Gleichgewicht der Welt. Willst du Frieden in der Welt, dann bring deine Beziehungen in Ordnung. Auf diesen einfachen Nenner gebracht lautet ihre Botschaft. Dabei geht es immer um die Beziehung zu uns selber, zu anderen Menschen und zur Natur. Im Weltbild der Kogi ist nebst Mensch und Tier alles lebendig und kommuniziert miteinander – die Erde, die Bäume, die Pflanzen, das Wasser, die Steine, alles im Universum. Sie haben über Jahrtausende Handlungsanleitungen für die Menschen entwickelt, damit sie sich in diesem lebendigen Netzwerk sinnvoll verhalten, das heißt harmonisch und einander nährend.
Im Seminar leiteten sie uns an, eine Praxis zu machen, die beständiger Teil ihres Lebens und Grundlage ihrer friedlichen Kultur ist. Südlich an unsere Wiesen angrenzend befindet sich ein Wald. Dort haben wir, ungefähr 120 Menschen, uns an einem von den Mamos identifizierten heiligen Platz versammelt und Alunayigwasi praktiziert. Dieses Kogi-Wort meint „Aussprache“. Es handelt sich um eine hochentwickelte spirituelle Praxis, die es ihrer Kultur ermöglicht hat, über Jahrtausende hinweg inmitten eines gewaltvollen Umfeldes friedlich zu bestehen. Es ist eine Technik zur energetischen Reinigung von Gedanken, Gefühlen, Träumen, Erinnerungen. Die Mamos (spirituelle Autoritäten) sagen: All das, was wir denken, fühlen, träumen, sehen und hören – ob Nachrichten, Gespräche, Erzählungen über die Vergangenheit oder kollektive Ängste – bleibt in uns gespeichert, wenn wir es nicht aussprechen und abgeben. Und solange es in uns ist, wirkt es, strahlt weiter aus, nährt die Gewalt. Oft, ohne dass wir es merken. Mamos stellen die Frage: Wo ist die Energie in uns, die den Konflikt in der Welt nährt?

Die Friedenspraxis
Es ist genau diese Praxis, die die Kogi uns auch in dieser zugespitzten Weltenlage empfehlen. Aus diesem Grund verschickte der Verein Lebendige Zukunft (Lucas Buchholz), der den Kontakt zu den Kogi hält, vor einigen Tagen mit einem Sonderrundbrief („Die Kogi und der Krieg“) eine einfache Anleitung zur Umsetzung dieser Übung.
Friedenspraxis Alunayigwasi
„Hier eine einfache Anleitung, wie du diese Praxis für dich umsetzen und so dich selbst immer mehr von den Energien, die in dir und durch dich wirken, befreien kannst. Wenn es sich einfach umsetzen lässt, mache dies gern, so wie bei den Kogi üblich, gemeinsam mit einer Person des anderen Geschlechts, damit männliche und weibliche Energien in Balance kommen. Du kannst aber auch erstmal für dich selbst damit beginnen:
- Finde ein natürliches pflanzliches Material, das Energie aufnehmen kann. Zum Beispiel ein kleines Stück Baumwolle, wolliges Moos oder fluffige Pflanzenfasern aus deiner Umgebung.
- Suche einen heiligen Ort in der Natur. Das kann eine Quelle, ein alter Baum, ein großer Stein, ein Moor, ein Fluss oder das Meer sein. Vertraue deiner Intuition, der Ort ruft dich.
- Sprich an dem Ort deine Gedanken, Gefühle, Träume oder Erinnerungen in das Material hinein. Alles, was dich bewegt, was dich berührt, was dich beunruhigt, was du gesehen oder gehört hast. Ob Nachrichten, Gespräche, Sorgen, Ängste oder Träume, all das darf Raum bekommen, auch wenn es um das Weltgeschehen geht. Es kann alles sein, was in dir lebendig ist, aus der Geschichte deiner Familie oder aus dem, was heute in der Welt geschieht.
- Gebe so lange all deine Gedanken ab, bis du merkst, dass du fertig bist. Wenn du merkst, dass du mehr Material brauchst, weil es „voll“ ist, nimm ein weiteres Stückchen.
- Lege das Material an den heiligen Ort mit der klaren Intention, dass dieser Ort die Energie aufnimmt, transformiert und zurückführt in den Kreislauf der Erde (Nein, „Negativität“ schadet dem Ort nicht, da es für die Erde einfach nur Energie ist). Die Mamos sagen ganz klar: Hege keine Zweifel, ob es klappen wird, weil diese Zweifel den Prozess stören. Gehe einfach davon aus, dass es klappt.
- Spüre nach. Du wirst merken, wie etwas leichter wird. Vielleicht leise, vielleicht deutlich.
- Drehe dich mit dem Uhrzeigersinn, um die Aussprache abzuschließen.
Wiederhole den Prozess so oft, bis du deutliche Unterschiede spürst. Du kannst jeden Moment der inneren Unruhe, Sorge oder Angst als Anlass nehmen, diese einfach an die Natur abzugeben.
Die Kogi laden dich ein: Lass diese Praxis zu einem Teil deines Lebens werden. Du wirst sehen, was sich verändert: in dir, um dich herum und in der Welt.
Lucas schreibt zur Wirkung dieser Übung: „Die Kogi sagen: Wenn wir die Aussprache regelmäßig praktizieren, entziehen wir der Gewaltspirale unsere Energie. Wir steigen aus. Wir reinigen nicht nur unsere eigene intergenerationale, familiäre und persönliche Geschichte, sondern helfen, die kollektive Erinnerung zu heilen. Und genau dadurch können wir beginnen, Frieden zu stiften – nicht abstrakt, sondern ganz konkret. In uns selbst, in unseren Beziehungen, in unseren Familien und in unseren Ländern. Und wir können genau hier bei uns beginnen. Wir steigen aus der Spirale der Ohnmacht aus, die uns manchmal gefangen hält, wenn wir uns den Geschehnissen einfach ausgeliefert fühlen. Denn es gibt eine andere Möglichkeit: Wir können auch Selbstverantwortung wählen.
Die Kogi sind der lebendige Beweis dafür, dass dies möglich ist.
Mitten im vom Bürgerkrieg zerrütteten Kolumbien leben sie bis heute in Frieden. Weil sie die spirituelle Arbeit stets getan haben und weiterhin tun, hegen sie keinen Groll gegen uns, obwohl wir die Kolonialmächte repräsentieren, die für so viele Tote und den Raub ihres Landes verantwortlich sind. So sind sie ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, dass ihre Kultur für Frieden und Heilung steht. Ihre Bereitschaft, ihr Wissen mit uns zu teilen, obwohl sie sich so lange vor uns geschützt haben, ist umso bedeutsamer, je mehr sich unsere Krisen verschärfen.“
Ich – eher von einer naturfernen Lebensweise geprägt – war nach dem Seminar nun schon etliche Male im Wald, um Aussprache zu halten. Noch nie habe ich unsere Erde so sehr als lebendiges großes Wesen gespürt – als allumfassendes Mutterwesen, mir voll liebevollem Interesse zugetan, als reine, mir lauschende Präsenz. Ich weiß ja um die Wirkung von gutem Zuhören. Wenn ich aber in die „Ohren“ der so mächtigen, allumfassenden Kraft spreche, die sich mir im Wald um mich herum präsentiert, dann ist dies eine sehr besondere Erfahrung. Mitteilen und mich aufgehoben fühlen sind eins. Habe ich mein „Material“ der Erde zur Transformation übergeben, schreite ich aufrecht von dannen, innerlich sortiert und im Fluss mit dem, was in meinem Alltag zu tun ist. Mich denkend und fühlend nicht vom eskalierenden Kriegsgeschehen abkoppelnd und dennoch mit einem inneren Frieden mein Leben weiterführend und genießend. Übrigens – als ich mich an den PC setzte, um diesen Beitrag zu schreiben, war ich wie blockiert. Also bin ich in den Wald gegangen, an diesen heiligen Platz, und habe eine Zeitlang „Aussprache“ gehalten. Es hat gewirkt – sonst gäbe es diesen Beitrag nicht.
Den Zugang zur Weisheit der Kogi vertiefen
Es ist den Kogi ein Anliegen, ihre zeitlose Weisheit über ihr eigenes Volk hinaus zur Verfügung zu stellen, weil sie über den Zustand der Welt zutiefst besorgt sind. Daher hatten sie vor etlichen Jahren Lucas Buchholz gebeten, ein Buch zu schreiben und eine Akademie zu gründen. Über das Buch („Kogi. Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert“) hatten wir Tempelhofer vor vier Jahren Kontakt zu Lucas und den Kogi geknüpft. Die Akademie „Timeless Wisdom Academy“ ist seit wenigen Wochen online. Dort gibt es auch einen Themenschwerpunkt zu der Praxis der Aussprache (Themenfeld Gedanken & Emotionen). Stöbere doch etwas in dieser Online-Akademie, es gibt dort viele Möglichkeiten, vom Volk der Kogi und ihrer Kultur mehr zu erfahren.
Von MarieLuise-Stiefel